AUSVERKAUF TROTZ WOHNRAUMMANGEL

Gemeinderat Sepp Hohlweger (rechts) informierte die Workshop-Teilnehmer*innen über die Sozialraumanalyse, aus der abgeleitet werden kann, dass es in Ruhpolding massiv an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Dennoch soll das Wohnbauwerk im Auftrag der Gemeinde das Filitzgelände an einen Investor verkaufen, der den Bau von Wohnungen im hochpreisigen Mietniveau plant.

Planung „Filitzgelände“ in Ruhpolding: Forderung nach einem sofortigen Verkaufsstopp

Erfreulich viele Interessierte haben am Workshop „Stadtplanung im ländlichen Raum“, den der Ruhpoldinger Grünen-Ortsverband im Seminarraum von „Held‘s Vitalhotel“ organisiert hatte, teilgenommen. Wie beim Grünenstammtisch vereinbart, waren auch Vertreter*innen des SPD-Ortsverbandes Ruhpolding anwesend.

Die wichtigsten Grundsätze einer Stadtplanung im ländlichen Raum sieht Referent Ludwig Gähler, Student der Städtebauplanung, in einer multifunktionalen Bebauung mit durchmischten Quartieren, die Platz für Kleingewerbe, Begegnungsflächen, Spielplätze und Gemeinschaftsgärten vorsehen, durchmischt auch nach demografischen und sozioökonomischen Aspekten. Mit geplanten und realisierten Wohnbauprojekten, die diese Grundsätze umsetzen, zeigte Ludwig Gähler innovative, moderne und bezahlbare Wohnbauplanung an verschiedenen Modellen auf. So entstand das Projekt „Wohnen am Klosteranger“ in Weyarn als ein Mehrgenerationenquartier mit Supermarkt, Café, Gemeinschaftsräumen, Reihen- und Mehrfamilienhäusern und Grünflächen für gemeinschaftliches Gärtnern. Ein anderes Beispiel in Wörthsee: Dort entstehen auf einem Supermarkt 21 so genannte Starterwohnungen mit Wohnungsgrößen von 31 bis 63 Quadratmetern. Hier wird eine Wohneinheit mit 31 Quadratmetern nicht mehr als 400 Euro Warmmiete kosten.

Bei allen Teilnehmer*innen des Workshops wurde der Vortrag begeistert aufgenommen, und mit der einhelligen Meinung „Wo ein Wille, da ein Weg“ ging es nahtlos über in eine engagierte Diskussion, die Sepp Hohlweger moderierte.

DRINGENDER BEDARF AN BEZAHLBAREN WOHNUNGEN

Gemeinderat Sepp Hohlweger ging auf die fehlende Konzeption zur bezahlbaren und sozialen Wohnraumplanung in der Gemeinde Ruhpolding ein und bezog sich auf die bereits aus dem Jahr 2017 stammende Sozialraumanalyse, die im Gemeinderat wohl recht unbekannt ist. In Ruhpolding lag der Anteil der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro pro Monat bei 31 Prozent und damit deutlich über dem Landkreisdurchschnitt von 26 Prozent; weitere 31 Prozent der Ruhpoldinger Haushalte verfügen über 1.500 bis 2.600 Euro netto pro Monat. Die Zahlen stammen leider noch aus 2014, verdeutlichen aber den dringenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und zeigen auf, dass wir eine neue aktuelle Sozialraumanalyse mit stärkerem Fokus auf die Wohnungssituation brauchen.

GEMEINDE WEISS OFFIZIELL VON NICHT

Im Ergebnis der Antworten der Gemeinde Ruhpolding auf einen von der Wohnrauminitiative des SPD-Kreisverbandes Traunstein an alle Gemeinden des Landkreises versandten Fragebogens informiert Margarete Schürholt darüber, dass in Ruhpolding der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum nicht bekannt ist und die Gemeinde keine Auskunft zum aktuellen Wohnraumbedarf geben kann. Die bei einer Diskussion getroffene Aussage des Bürgermeisters, dass die Ruhpoldinger*innen keine Wohnungen, sondern nur Einfamilienhäuser wollen, geht an den Interessen der Bürger*innen vorbei, sagte Margarete Schürholt. Sie schlägt eine gemischte Bebauung für Gering- und Besserverdiener*innen vor, die an den Interessen der Bewohner*innen ausgerichtet sein sollte.

Denkbar wäre auch ein Genossenschaftskonzept für Mehrgenerationenbauten, führten Manuela Wittke und Herbert Koch an. Hier wäre aber die Bereitschaft der Gemeinde erforderlich, ihre Bürger*innen an der Wohnbauplanung des Filitzgeländes zu beteiligen und den Grund dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen, sagte Herbert Koch.

Matthias Mayer platzt fast die Hutschnur bei der Aussage, es sei kein Bedarf an bezahlbarem Wohnraum vorhanden. Er lebt mit seiner vierköpfigen Familie in einer 63 Quadratmeter großen Wohnung und sucht dringend eine größere bezahlbare Wohnung. Und nicht nur seine Familie sei auf der Suche – auch rund 80 Prozent der ihm bekannten Kitafamilien, betonte Mayer.

ÄLTERE MENSCHEN VERGEBLICH AUF DER SUCHE

Auch ältere Menschen wollen aus ihren großen Einfamilienhäusern bzw. Wohnungen raus, finden aber keine passende bezahlbare kleinere Wohnung, führte Maria Haßlberger an und verwies auf die fehlende Anlaufstelle zur Steuerung des Wohnraumbedarfs in der Gemeinde Ruhpolding. Bei der Regierung von Oberbayern und im Landratsamt Traunstein sei die angespannte Wohnsituation in Ruhpolding bekannt. Umso unverständlicher sei das Vorhaben des Wohnbauwerkes im Auftrag der Gemeinde, das Filitzgelände an einen Investor zu verkaufen, äußerte einvernehmlich die Mehrzahl der Teilnehmer*innen.

Bernd Magenau verdeutlichte nachdrücklich, dass laut Wohnbauwerksatzung (Abschn. II § 2) der vorrangige Zweck des Wohnbauwerkes Ruhpolding eine sichere und sozialverantwortliche Wohnungsversorgung der einheimischen Bevölkerung ist. Ute Dörfel verwies darauf, dass es sich um das Eigentum aller Ruhpoldinger Bürger*innen handle und nicht um das Eigentum des Wohnbauwerkes.

In der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass ein sofortiger Stopp der Verkaufsverhandlungen für das Filitzgelände gefordert wird. Ziel soll ein intensiver Austausch mit Bürgerbeteiligung zur Entwicklung einer möglichen Wohnbebauung unter Einbeziehung der präsentierten Modellprojekte auf dem Filitzgelände sein.

Neue Chancen zu nutzen ist sicher sinnvoll und kann durchaus auch kreative Ausschreibungen ergeben, dass zum Beispiel der Investor den Zuschlag erhält, der die niedrigsten Mieten und Kaufpreise bietet. Das erfordere aber eben nochmals eine Denkpause um diese einmalige Gelegenheit nutzen zu können.

ANS WOHNBAUWERK GERICHTET: NEHMEN WIR UNS DIE ZEIT!

Der Schlusssatz von Maria Haßlberger, dass das Wohnbauwerk 1983 stolz auf 141 sozial gebundene Wohnungen war und heute kein sozial gebundener Wohnraum in der Gemeinde Ruhpolding zur Verfügung steht, führte bei allen Teilnehmer*innen zur Betroffenheit aber auch zum unbedingten Willen zur Veränderung. Ute Dörfel und Margarete Schürholt

(7. September 2021)